day 00
Wir starten um 13 Uhr. Kurz darauf Regen und viel Wind. Es geht hurtig dahin. In der uns ja schon bekannten Acceleration-Zone weht der Wind mit 25 Knoten, dann kurze Windstille und schon geht es wieder los. Wir sind am späten Nachmittag auf der Höhe von Maspalomas. Ein kleines Bändsel reißt sich im Wind los. Ich gehe zum Vordeck, um es zu bergen. Auf dem Retourweg folgt mein Routineblick zum Baum. Mit Entsetzen entdecke ich, dass der Bolzen, der den Baum am Mast hält, ca. 2 cm herausschaut. Ein paar Zentimeter mehr und der Baum fällt samt Segel auf das Deck. Die kleine Schraube, die den Bolzen hält, ist herausgedreht, verbogen und hat sichtbare Spuren hinterlassen. Das Gewinde ist unbrauchbar zerstört.
„Einen Hammer, schnell! Die Gooseneck …“ schreie ich gegen den starken Wind. In Sekunden ist der Bolzen wieder im Schaft, wir drehen in den Wind und bergen das Großsegel so schnell wie nie zu vor. Sofort sichern wir den Baum mit Großfall und zweitem Spifall dagegen ab, dass er runter fällt, und setzen 4 Bullenstander, damit der Baum total stabilisiert ist. Dass der Bolzen nicht nun zur Gänze herausfällt, schrauben wir eine massive Schnelle rundherum.
Aus der Traum, über den Atlantik zu segeln. Beide – Dietmar und ich – fühlen uns hundsmiserabel. So muss sich ein Slalomläufer fühlen, der bei der Olympiade beim zweiten Tor einfädelt.
Umkehren nach Las Palmas wäre das Vernünftigste. Aber aus dem Bauch heraus entscheiden wir, dass wir es auch nur mit der Genua bis Mindelo – Kap Verden – schaffen, und dann den Baum dort reparieren lassen.
Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Wir sind fertig. Die Kinder und Traude sind fertig. Wir können nicht einmal etwas essen, so sehr belastet uns dieser Schaden.
Alle anderen Boote ziehen nur so an uns vorbei. Ohne Großsegel sind wir zwei bis drei Knoten langsamer. Auch das macht uns fertig.
Stündlich kontrollieren wir, ob der Bolzen noch da ist.
day 01
Die Nacht war hart: noch immer viel Wind, der Regen lässt nicht nach, wir sind waschelnass und müde. Wir haben fast nichts geschlafen und sind so müde, dass wir nicht einmal die Kraft haben, darüber nachzudenken, ob wir den Schaden selbst reparieren könnten. Die Kinder liegen im Salon, die Wellen sind zum Glück nicht so hoch. Keiner – nicht einmal Traude – hat Seekrankheit. Wenigstens etwas.
day 02
Endlich – wir haben uns ein wenig an den Rhythmus gewöhnt. Die Sonne scheint, wir setzen den Parasailor, und Lukas fängt zwei Goldmakrelen. Endich sieht die Welt besser aus. Und nach dem ersten richtigen Essen an Bord haben wir auch die Kraft, zu überlegen, wie wir mit dem Problem umgehen können. Eines ist klar: Ohne Großsegel wollen wir keinesfalls den Weg über den Atlantik antreten. Während Traude die Wache übernimmt, stehen Dietmar und ich mit der Lifeline eingepickt am Mast, halten uns mit beiden Händen fest und überlegen. Die Atlantikwelle schaukelt das Boot doch sehr.
Die fix-fertige Lösung haben wir nicht an Bord. Wir müssen improvisieren.
Der Bolzen verbindet Gooseneck und Gegenstück am Mast und ist über eine Schraube im Gegenstück gesichert. Da wir die Schraube aufgrund des beschädigten Gewindes nicht mehr setzen können, brauchen wir eine Lösung, die dem Gooseneck die Beweglichkeit sichert, aber den Bolzen nicht in einer der beiden Richtungen auswandern lässt. In der Werkzeugkiste finden wir zwei massive Winkel (2,5 cm * 2,5 cm) mit jeweils einem Loch an jedem Ende. Die beiden setzen wir wie betende Hände zusammen und biegen sie auf unseren Schraubstock, sodass sie plan auf dem Mast sitzen können. Die „betenden Hände“ schieben wir durch einen Ring (sieht aus wie ein starres Decksauge), der auf einer Metallplatte (ca. 4cm * 4 cm) aufgebracht ist, und sichern diese mit einer langen Schraube und vielen Muttern gegen Herausfallen. Die Metallplatte hatten wir vor Jahren für Florians Hochbett gekauft.
Mit dem Akkubohrer bohren wir – mitten im Atlantik – den Mast an und nieten die neue Konstruktion so unter den Bolzen, dass dieser nicht mehr herausfallen kann, aber auch das Gooseneck nicht an der Bewegung gehindert ist.
Beim Nieten glauben wir schon, dass wir es nicht schaffen, weil die erste Niete zu lang ist, im Mast stecken bleibt, und wir weder die Niete herausbekommen noch das Endstück aus unserer guten Nietenzange. Mit der Säge schneiden wir die Niete am Mast ab, mit Gewalt entfernen wir den Stift aus der Nietenzange. Noch ein Versuch. Wir haben auch andere Nieten, genau so groß, aber mit einem beweglichen Kopf. Ein Erbstück von Georg und der Sidonia.
Und damit schaffen wir es. Am frühen Nachmittag haben wir eine Konstruktion, mit der wir glauben, bis Mindelo segeln zu können. Dietmar sichert noch den Baum mit Dynema an den Mast – für alle Fälle.
Wir sind überglücklich.
Wir setzen sofort das Großsegel – im dritten Reff – und segeln los.
day 03
Halbstündlich kontrollieren wir unseren Bolzen. Alles passt. Aber dann – der Bolzen drückt stark nach unten gegen unser Konstruktion. Mit einer Schelle versuchen wir unsere Konstruktion noch zu verstärken. Wieder ein paar Meilen unter Segeln. Jetzt will der Bolzen nach oben hin auswandern.
Unser Mut sinkt wieder.
Wir bringen die nächste Schelle an, und zwar eine, die den Bolzen sowohl unten als auch oben etwa zur Hälfte abdeckt. Mehr geht nicht, denn sonst würde das Gooseneck daran reiben. Außerdem sprayen wir jede Menge Schmiermittel hinein – und das ist die Lösung schlechthin. Auf einmal rutscht das Gooseneck viel besser am Bolzen und der Bolzen hat keine Auswanderungstentenzen mehr.
day 04
Mittlerweile sind wir allein.
Alle Boote sind schon viele Meilen weiter. Wir stehen in der Flaute. Wenig bis kein Wind. Bei diesem Tempo brauchen wir noch zwei Monate, um irgendwo hin zu kommen.
Aber wir haben uns an das Leben auf See wieder gewöhnt. Geregeltes Leben.Und zum geregelten Leben gehört, dass wir jede Stunde – egal ob Tag oder Nacht – den Bolzen kontrollieren.
day 05
Noch immer Flaute. Über das AIS sehen wir in 6 Meilen Entfernung ein Boot, das wir aus dem Hafen kennen. S/Y Nefeli – ein Ehepaar aus Italien. Wir funken sie an, es entwickelt sich ein kurzes Gespräch, und wir beschließen, einige Meilen zusammen zu segeln. Und zwar immer auf der Suche nach Wind.
day 06 bis day 09
Ein Hoch nach dem anderen. Unser Weg nach Mindelo ist mühsam. Gemeinsam mit Nefeli segeln wir kreuz und quer – Seite an Seite – nie mehr als 3 Meilen entfernt. Jeden Tag funken wir mehrmals miteinander, besprechen die Gribfiles (Windvorhersagedaten) und die nächsten Windsuchstrategien.
Immer wieder finden wir gute, aber viel zu kurze Windfelder. Für uns aber ein super Test, um festzustellen, ob unser Baum hält. Ungerefft gegenan bis 20 kn WInd – der Bolzen sitzt. Raumer Wind – der Bolzen gibt dem Gooseneck ausreichend Platz zum Drehen.
Wir gewinnen immer mehr Vertrauen zu unserer Konstruktion.
Während wir ursprünglich noch dachten, in Mindelo aufgegen zu müssen, glauben wir nun, dass wir so auch über den Atlantik kommen – wenn es endlich Wind gibt.
Auf der anderen Seite sind wir aber auch schon recht erschöpft. Es gibt keine geregelten Wachen, weil wir in der Nacht zu oft reffen und ausreffen müssen. Oftmals regnet es, dass wir pitschnass an Deck frieren. 24 Stunden durchgehend Wache ist leider keine Seltenheit.
Das Großfall verhängt sich in der Saling. Um 6 Uhr früh bei WInd und Welle und in total Dunkelheit muss ich im Bootsmannstuhl zur oberen Saling – 17 m über dem Wasser. Das ist schon kein Spaß im Hafen, aber noch weniger am Atlantik.
Die Kinder und Traude sind tapfer. Die Kinder spielen sehr viel unter Deck, Traude hilft, wo sie kann. Bordschule – nein – bis dato undenkbar.Die wenigen Stunden untertags, die nur einer von uns beiden an Deck ist, braucht der jeweils andere um zu schlafen.
Aber wir schaffen das.
Nothing’s gonna stop us now.