Um 10.30 Uhr starten wir von Lissabon. Zunächst wenig Wind, wir setzen volle Segeln. Aber schon nach 30 Minuten fängt es zu blasen an. Schnell ist das erste Reff im Groß und kurze Zeit danach das zweite Reff. Auch die Genua wird ein wenig gerefft. Die Windrichtung „Nordwesten“ passt, aber die Wellen sind hoch und kurz. Es schaukelt sehr stark. Bei vielen Wellen müssen wir uns an der Reling festhalten, um nicht von den Cockpitsitzen auf die andere Seite zu rutschen. Keine Frage, dass wir neben den Lifejackets natürlich auch mit den Lifelines im Boot gesichert sind. Gelegentlich treffen Wellen so ungünstig gegen den LUV-Bug, dass die Gischt überschwappt und uns gehörig duscht. Dietmar und ich, die wir zumeist hinter Steuerrad und Plotter sitzen, sind zur Belustigung der Kinder die primären Zielobjekte dieser Riesenwellen.
Dann gegen 12.00 Uhr melden sich HeckoGecko über Kanal 16 (resp. 77). Sie sind – wie vereinbart – etwa 30 Minuten nach uns gestartet und haben nun beschlossen, in den Hafen zurück zu kehren. Die Bedingungen sind für die Crew mit zwei Kindern von 9 und 3 Jahren zu hart. Am Dienstag sollen sowohl Wind als auch Welle geringer sein.
Wir diskutieren kurz, ob wir auch umkehren sollen. Einerseits wollen wir sie nicht hängen lassen, andererseits sehen wir die Bedingungen als machbar an und wollen natürlich diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen, auch für schwierige Bedingungen zu „trainieren“. Außerdem ist unsere STARSHIP eben kein Boot, das bei geringem Wind in Fahrt kommt. Unter 10 Knoten scheinbarer Wind tut sich bei uns gar nichts. Also melden wir über Funk zurück, dass wir nicht umkehren, einander gegen Ende der Woche in Porto Santo sehen werden und stellen uns auf eine „einsame“ Fahrt ein.
So einsam ist die Fahrt jedoch am Anfang nicht. Im „Windschatten“ eines großen Frachters setzen wir das dritte Reff ins Großsegel. Während wir das erste und zweite Reff aus dem Cockpit aus bedienen können, müssen wir für das dritte Reff zuerst zum Mast vor, um die Kausch am Baum zu befestigen und dann in einem Balanceakt die Reffleine samt Karabiner aus dem Baumende fischen und an dem umherschwingenden Achterliek des Großsegels festmachen. Ein „jetzt-heißt-es-Zähne-zusammen-beißen“ Manöver!
Eigenartig ist nur, dämmert uns nach dem erfolgreichen Manöver, dass wir den Frachter auf unserem Plotter nicht gesehen haben. Auch die nächsten zwei sehen wir nur in Natura, aber nicht auf dem Plotter. Hat unser AIS ein Problem? Dietmar hängt sich in die Steuerbordbackskiste und meldet zurück: „Powerlampe“ leuchtet nicht. Drei Minuten später sitzt Dietmar mit Stablampe, Schraubenzieher und dem Voltmeter in der Backskiste – bei 25 Kn Wind und ca. 2,5 Meter hohen Wellen. AIS wird nicht mehr mit Strom versorgt. Uns bleibt wenig Zeit, uns Gedanken zu machen, warum das so ist. Vielmehr brauchen wir eine Lösung, denn eine Nachtfahrt ohne AIS nur mit Radar ist wesentlich aufwändiger. Denn AIS zeigt nicht nur Größe und Geschwindigkeit eines Schiffes an, sondern auch genau den Kurs und den Kursvektor, sodass wir leicht ausrechnen können, ob wir auf Kollisionskurs sind oder locker davor oder dahinter kreuzen können. Der Zufall hilft. Am Vortag hat Dietmar noch eine provisorische Ankerbeleuchtung gebastelt, deren Kabel am 12 Volt-Anschluss der Cockpitlampe im Cockpittisch hängt. Kurzerhand montiert Dietmar dieses Ankerlicht ab, verlängert und verlegt das Kabel in die Backskiste und schließt das AIS-Gerät über die Ankerleuchte an den Strom an. Funktioniert für die nächsten drei Tage hervorragend (auch wenn Dietmar diese „russische“ Konstruktion selbst nicht sehr schätzt).
Die erste Nacht verläuft gut. Viel Wind, hohe Wellen, wir kommen mit 7 kn SOG gut voran. Lukas und Katharina geht es ausgezeichnet, sie liegen quer in ihrer Kabine und können gut schlafen. Florian und Traude füttern die Fische. Nicht einmal, sondern öfter. Eine Decke, Schoten und der Cochpittisch, die sich der Fütterung in den Weg stellen, kriegen einiges ab. Notdürftig versuchen wir zwischendurch das Deck mit Salzwasser zu reinigen, verkeilt im Cockpit, um die Hände fürs Arbeiten frei zu haben. Für beide müssen wir daher ein Nachtlager im Cockpit einrichten, eine Nacht unter Deck wäre undenkbar. Florian wird angeleint und zugedeckt, Traude hängt förmlich im Niedergang. Aber wie durch ein Wunder erholen sich beide bis Mitternacht und können danach im Salon und in der Bugkabine schlafen. Dietmar und ich teilen uns die Nachtwache. Die erste Nacht ist – zugegeben -anstrengend. Und beide sind wir etwas geschafft.
Der zweite Tag verläuft deutlich besser. Der Wind ist unverändert stark, die Wellen lassen ein wenig nach, aber die Sonne versteckt sich hinter grauen Wolken. Traude geht es mittlerweile so gut, dass sie bereits eine Nachtwache von 21:00 bis 23:30 und eine weitere von 06:00 bis 08:00 übernehmen kann. Unser Kurs ist unverändert. Die Geschwindigkeit schwankt zwischen 6 und 6,5 Knoten SOG.
In den Morgenstunden des dritten Tages beginnt der Wind ein wenig zu drehen. In Richtung Nordosten. Und er nimmt auch ab. Diese Kombination zwingt uns, immer mehr anzuluven, um weiterhin einen konstanten raumen Kurs zu segeln. Das ist aus unserer Sicht für die Kinder und Traude die bequemste Variante, das Boot nimmt dank der Geschwindigkeit die Wellen in einem günstigen Winkel, die Segel sind gut mit Wind gefüllt, nichts knarzt oder schlägt. Immer mehr kommen wir daher vom Kurs ab, obwohl wir sehr aufmerksam segeln und jede Windböe nutzen, um wieder – wenn auch nur für kurze Zeit – ein paar Grad mehr abzufallen, um Strecke gut zu machen. Das dritte Reff haben wir schon am zweiten Tag wieder aufgemacht, jetzt lösen wir auch das zweite Reff und setzen die Genua zur Gänze. Trotzdem – alles hilft nichts – und unsere Geschwindigkeit sinkt immer mehr auf nur 5- 5,5 Kn SOG. Die Wolkendecke wird dicker und grauer. „Dietmar, wir sollten reffen“, meine ich mit Blick auf den dunkelgrauen Streifen hinter uns. Kaum stehen wir mit einem Aufschießer im Wind und haben das zweite Reff gesetzt, setzen die Böen mit 30 Kn wieder ein, natürlich gemeinsam mit Regen. Süßwasserdusche. Zweimal noch ziehen Regenwolken über uns. Der dritten, die wir auf dem Radar rechtzeitig etwa 3 sm östlich sehen, können wir ausweichen (kostet uns aber wieder ein paar Grad).
Auch bei der dritten Nachtwache kommt Traude wieder zum Einsatz. Nach Mitternacht übernehmen abwechselnd Dietmar und ich. Nachdem der Wind immer schwächer wird und nur noch 10 kn scheinbarer WInd von achtern vorhanden ist, entscheiden wir schweren Herzens, die Segeln zu bergen und den Motor zu nehmen. Direkter Kurs auf Porto Santo.
Der vierte Tag bricht an und bringt Sonnenschein und herrliches Wetter. Endlich können wir uns aus Schwerwettergewand und Stiefeln schälen, die wir wg Kälte in der Nacht und Regen die meiste Zeit auf Deck anhatten. Der Temperaturunterschied zwischen Portugal und der Gegend von Madeira ist mehr als deutlich zu spüren. Und dann gegen 10 Uhr heißt es erstmals:
„LAND IN SICHT“!!!!!!!!!

Das motiviert uns so sehr, dass wir, als der Wind noch einmal etwas zunimmt, den Parasailor setzen und wieder 6 – 7 Kn Fahrt machen. Das ist – vor allem nach den harten vergangenen Tagen – ein Genuss schlechthin. Sonne, Wind, wenig Welle und das knallrote Segel.
Gegen Mittag besucht uns zur Begrüßung eine Gruppe von Delfinen.

Und in der untergehenden Sonne erreichen wir Porto Santo.

Eigentlich wollten wir in der Bucht vor dem Hafen ankern, aber in der Dunkelheit können wir kaum andere Boote ausnehmen, die schon ankern. Also entscheiden wir uns, in die Marina zu fahren. Dort drehen wir zwei Runden, weil wir weder am Besucherpontoon noch im Ankergelände einen Platz finden, wollen wir schon umdrehen, da schreit Lukas: „Da hinten, das ist noch eine Mooringboje!“. Super gesehen, Lukas. Wir schnappen uns diese letzte, machen uns mit zwei Festmachern an und …
SIND ALLE SUPER STOLZ, die ZWEITE MEHRTAGESETAPPE in 3 Tagen und 11 Stunden GESCHAFFT ZU HABEN!